Gesammelte Aufsätze und Vorträge
Vorbemerkung
Die hier versammelten Aufsätze und Vorträge sind mehrheitlich seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstanden und werden fortlaufend ergänzt. Sie widmen sich Themen aus der Musikgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. So unzusammenhängend, ja bunt die Themenfolge auch erscheinen mag: ich glaube, ein einigendes Band darin sehen zu können, daß in jedem Fall die Musik selbst, vorzugsweise eine bestimmte Komposition, der Boden ist, auf dem die Aussagen über sie erwachsen. Es geht mir nicht um die Entfaltung einer Theorie, gar eines Systems, in welche sich die Komponisten und ihre Werke einordnen und womöglich deuten, erklären lassen. Von allem, was ich im Zeitraum der Entstehung der Arbeiten lernen konnte und mußte, war das Nachhaltigste mit der Erfahrung verbunden, daß das Einzelne, das Individuelle die stärkste Wirkung ausübt – da es die eigenen Kräfte der Phantasie und des Wissens am stärksten beansprucht. In den glücklichsten Fällen kann es zur Empfindung, zuweilen sogar zur Gewißheit kommen, ein Stück oder auch nur eine Stelle der Musik sich restlos anverwandelt zu haben. Daß dies dann doch immer nur Illusion bleibt, ist nicht betrübend; denn es birgt ja in sich den Ansatz zu einem neuerlichen Versuch.
Wie nicht anders als in meinen umfangreicheren Arbeiten über Anton Bruckner, Gustav Mahler, Richard Strauss oder Arnold Schönberg möchten auch die vorliegenden Aufsätze dazu beitragen, dem Leser ein verstehendes Wahrnehmen von Musik nahezubringen. Ich wende mich deshalb auch vor allem an Musikinteressierte in einem allgemeineren, gewissermaßen kulturellen Sinn.
Obwohl es selbstverständlich ist, daß zu allen hier angesprochenen Themen vielfältige neue Erkenntnisse hinzugekommen sind, sich mein Blick auf manche Details inzwischen geändert hat und ich also heute manches anders darstellen würde, bin ich dennoch davon überzeugt, an den Grundaussagen der Arbeiten festhalten zu können. Nur in einem Fall bin ich auch grundsätzlich zu anderem Urteil gelangt – er betrifft die Musik von Richard Strauss. Zwar bleibt wohl weiterhin unbestreitbar, daß Strauss in wesentlichen künstlerischen Fragen ein, wenn nicht der „Gegenspieler“ Mahlers und Schönbergs gewesen ist. Doch stärker als bisher muß zugleich der „Selberaner“ Strauss wahrgenommen werden, und dies nicht nur in den vertraut avantgardeverdächtigen Stücken wie Salome oder Elektra, sondern auch im Don Quixote, im Rosenkavalier oder in den Vier letzten Liedern – um nur diese weit auseinander liegenden Stationen zu nennen. Die sanfte, doch unwiderstehliche Kraft des Zeitenwandels hat dafür gesorgt, daß Strauss, ähnlich wie etwa Jean Sibelius, aus dem kritischen Schatten von Schönbergs Ästhetik, von der wesentlich Theodor W. Adorno seine Argumente zum Verdikt bezog, herausgetreten ist. Wen es interessiert, mag diese „Kurskorrektur“ in meinem Buch Richard Strauss. Die Sinfonischen Dichtungen (Kassel 2003) weiterverfolgen.
Die Korrekturen in den nachstehenden Arbeiten galten vor allem offensichtlichen Irrtümern und Druckfehlern – soweit dies menschenmöglich ist – und Formulierungen, die nur im mündlichen Vortrag Sinn ergaben und nun verändert oder gestrichen wurden. In einigen wenigen Fällen blieben Wiederholungen von Zitaten stehen, die mir besonders wichtig erschienen – und ich wollte dem Leser das Blättern ersparen.
Berlin-Karlshorst, im Juli 2014 Mathias Hansen
Inhalt
I
Fètes galantes und Cosi fan tutte - Signale einer neuen Zeit
ich konnte mich jeden Augenblick mit ihm besprechen
Beethovens Oratorium Christus am Ölberge
Von Herzen – Möge es zu Herzen gehen
Das Clavier möchte ich oft zerdrücken und es wird mir zu eng zu meinen Gedanken
Robert Schumann auf dem Weg zur Sinfonie
Orchester- und Kammermusik – eine Alternative? Anmerkungen zu Johannes Brahms und Anton Bruckner
Bruckners Ton. Das Streichquintett im Umfeld der Sinfonien
Anton Bruckner in Norddeutschland
Bruckner – Persönlichkeit im Werk. Zur 8. Sinfonie
Anton Bruckners Neunte – Vermächtnis und/oder Vision?
II
Mein Gott, was haben Sie angestellt, mein Kind?
Von Berlioz’ und Mahlers Schwierigkeiten, einen Kompositionspreis zu gewinnen
Lied und Finale. Zu Mahlers 4. Sinfonie
Gustav Mahlers 8. Sinfonie im Spannungsfeld von Geschichte und Tradition
Gustav Mahler und Richard Strauss als Zeitgenossen
Gustav Mahler – noch immer Zeitgenosse der Zukunft?
Das Innerste der Welt ist Einsamkeit
Hans Pfitzner und der deutsche Nationalismus
Ich warte auch getrost, denn ich habe Vertrauen zu mir.
Zu Kompostionen Alexander von Zemlinskys
Impression und Modus bei Claude Debussy
III
Ehrfurcht ist Standesbewußtsein. Johann Sebastian Bach im Verständnis Arnold Schönbergs
Franz Liszt im Blickfeld Arnold Schönbergs
Alles, was ich geschrieben habe, hat eine gewisse Ähnlichkeit mit mir
Zu Richard Strauss und Arnold Schönberg
Vom Ersten zum Zweiten Streichquartett: auf dem Weg eines Paradigmenwechsels?
Apokalypse als Selbstfindung. Zum Jakobsleiter-Fragment von Arnold Schönberg
Der deutsche Schönberg und der österreichische Berg
Er hat's mir selber gesagt! Das geheime Programm zu Alban Bergs Lyrischer Suite
Wo es rauscht, da rauschen die Themen
Zum Orchesterbegriff der Wiener Schule Arnold Schönbergs
Schönbergs Begriff des musikalischen Raumes und seine Bedeutung für die musikalische Avantgarde
Arnold Schönbergs Instrumentierung des Klavierquartetts g-Moll op. 25 von Johannes Brahms
Ich habe nicht aufgehört das Gleiche und auf die gleiche Art zu komponieren.
Europäische Komponisten im US-amerikanischen Exil
Nacht ist es jetzt schon bald [?]
Zum Mahler-Bild Theodor W. Adornos
Das instrumentale Spätwerk von Richard Strauss. Nachklang oder Wiederkehr?
Gemurmel unterhalb des Rauschens
Theodor W. Adorno über Richard Strauss
IV
Zeitoper – Hindemith – Schönberg. Ein revisionsbedürftiges Thema
Igor Strawinsky zwischen Eurasien und Turanien
Collage(?)-Montage(?) bei Strawinsky(?)
Ich bin ein glücklich Begabter
Zum Briefwechsel Artur Schnabel und Therese Behr-Schnabel
V
Glück der Ferne – leuchtend nah
Kammermusik und sozialistischer Realismus in der DDR
Widerhall und Widerspruch. Das Musikfestival Warschauer Herbst im Blickfeld von Komponisten der DDR
Carl Dahlhaus und das Politische
Hanns Eisler – Spuren zu einem Porträt
Zwischentöne. Anmerkungen zum Tagebuch des Hanns Eisler op. 9
Friedrich Goldmann: Sinfonie 1